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Können Vorbilder unsere Gehirnentwicklung beeinflussen?  – Wie spüren wir die Wirkung?

Das Gehirn selbst kann nicht fühlen. Es bedarf peripherer Messfühler, so genannter „somatischer Marker“, die über Emotionen wie Freude, Trauer oder Wut Feedback geben. Körperwahrnehmungen vermitteln uns ein Gefühl für richtige oder falsche Entscheidungen. Noch bevor der Verstand die Situation analysiert hat, stellt sich in Bruchteilen von Sekun­den unser Bauchgefühl ein. Uns schwillt der Kamm, wenn wir wütend sind. Wir gehen mit breiter Brust in einen Wett­kampf, und uns rutscht das „Herz in die Hose vor Aufregung“ solche oder ähnliche Metaphern drücken anschaulich unsere Empfindungen aus.

Der somatische, d.h. körperlich spürbare Entscheidungs­prozess ist evolutionär gesehen der Älteste. Notwendiger­weise läuft er unvermittelt und automatisch ab. In Urzeiten mussten unsere Vorfahren in Sekundenbruch­teilen entscheiden, ob sie einem Feind oder Freund gegenüberstanden. Die Zeit zum Reflektieren und Abwägen war nicht gegeben. Wer zögerte und noch erst nachdenken wollte, lief im wahrsten Sinne des Wortes Gefahr, gefressen zu werden. „Fight or flight“ war die beste Überlebensstrate­gie. Noch heute springt im zivilisierten Menschen dieses System unterbewusst bei extremem Stress ein. Wenn die Stresshormone Adrenalin und Cortisol unser Gehirn z.B. bei Todesangst überfluten, gilt das urzeitliche Überlebensprin­zip.

Auch in weniger bedrohlichen Situationen werden Erfahrun­gen, die im Großhirnbereich abgespeichert sind, durch körperliche Empfindungen bzw. „Marker“aktiviert.

Kleine Zellen „große Gefühle“: Die Spiegelneuronen

Ob wir einen Menschen sympathisch finden oder uns gar in ihn verlieben – das entscheidet sich in Bruchteilen von Sekunden. Es sind unbewusste Erfahrungen, die schneller als der Verstand Empfindungen auslösen.

Oft reicht bereits ein Gedanke, ein kurzer Moment einer beliebigen Sinneswahrnehmung, und wir erkennen die Lösung für ein jahrelanges Problem. Der äußere Reiz ist dabei nur der Auslöser für ein inneres Bild. Wir empfinden solche genialen Momente als Gedankenblitz, als Bauchgefühl oder inneres Wissen. Woher sie kommen, wissen wir nicht. Wenn wir dann gefragt werden, weshalb wir unsere Entscheidung so und nicht anders getroffen haben, sagen wir, dass es Intuition war. Eine Mutter spürt ohne Nachzudenken, wenn ihr Baby Kummer hat. Das Kind wiederum „liest“ in dem Gesicht seiner Mutter jedes Gefühl ab und reagiert darauf unbewusst. Es spiegelt das Verhalten der Mutter.

Prof. Joachim Bauererklärt dieses Phänomen wie folgt: „Intuition ist eine biologische Resonanz, die in uns entsteht, ohne dass wir bewusst darüber nachdenken und ohne dass wir das kontrollieren können. Wir haben Spiegelnervenzel¬len, die in uns eine Resonanz auslösen.“

Wie können Eltern, Lehrer und Vorgesetzte sich das „Spiegelneuronen-Resonanzsystem“ zunutze machen?

Aus der Entwicklungspsychologie wissen wir, dass der Mensch unterschiedliche Reifeprozesse durchläuft. Bereits im Mutterleib nimmt das Gehirn regen Anteil an allen Reizen, die von außen einwirken. Jede Emotion der Mutter wird unbewusst registriert und imitiert. Durch die modernen bildgebenden Verfahren der Gegenwart sind die Neurowissenschaften erstmals in die Lage versetzt, diese Entwicklungsprozesse morphologisch-strukturell darzustellen und nachzuweisen.

Über den Körper vermittelt, bilden sich sogenannte neuronale Netzwerke, die ein Spiegelbild dessen sind, was vom Ungeborenen erlebt wird. Es werden nach und nach typische Erregungsmuster gebahnt, die sich durch Reizwiederholung verfestigen. Diese Erregungsmuster hinterlassen individuelle strukturell verankerte Spuren im Gehirn.

Die Persönlichkeitsentwicklung basiert zunächst auf einfachen Wahrnehmungserfahrungen, die sich mehr und mehr herausdifferenzieren. Zunächst sind es Mutter und Vater, die in Beziehung zum Neugeborenen durch ihre Fürsorge dazu beitragen, dass sich ganz bestimmte Antwort- und Reaktionsmuster bei ihrem Sprössling herausbilden. Später, wenn der heranwachsende Mensch mit immer mehr anderen Menschen Beziehungen knüpft, können leicht Konflikte entstehen.

Das Imitationslernen ist die Grundlage für die Weitergabe von Wahrnehmungs-, Bewertungs- und Handlungsmustern von einer Generation zur nächsten. Die neurophysiologische Grundlage dieser Identitätsbildung basiert auf dem Resonanzprinzip der Spiegelneuronen.

Gehirnentwicklung durch gelingende Beziehungen – das Social Brain

Der bekannte und viel zitierte Neurologe und Hirnforscher Prof. Gerald Hüther von der Universität Göttingen definiert das Gehirn als Beziehungsorgan. In einem wissenschaftlichen Aufsatz im Auftrag der Bundeszentrale für politische Bildung stellt Prof. Hüther fest: “Zum Zeitpunkt der Geburt hat das menschliche Gehirn zwar schon wichtige pränatale Erfahrungen verankert, aber es ist insgesamt noch unfertig. Diejenige Hirnregion, die sich am langsamsten herausbildet, ist der präfrontale Cortex. Er ist in besonderem Maße durch das soziale Umfeld formbar.“

Thomas Fuchs, der angesehene Medizinprofessor und Neurowissenschaftler am Lehrstuhl für Psychiatrie und Philosophie von der Universität Heidelberg schlägt in die gleiche Kerbe. Für Fuchs erlangt das Gehirn erst durch seine Verbindung mit unseren Muskeln, Eingeweiden, Nerven und Sinnen, mit unserer Haut, unserer Umwelt und mit anderen Menschen zu seiner großen Bedeutung. Prof. Fuchs führt weiter aus:

„Das Gehirn ist der Mediator, der uns den Zugang zur Welt ermöglicht, der Transformator, der Wahrnehmungen und Bewegungen miteinander verknüpft.“ Zentral sei „nicht nur der Austausch mit seiner natürlichen Umwelt, sondern vor allem die Interaktion mit anderen Menschen.“